Uta Peters studiert im 4. Semester Lebensmittelchemie an der TU Dresden und wird seit 2013 durch ein Deutschlandstipendium gefördert. Im Folgenden berichtet sie über ihre Arbeit bei der Reittherapie: die alltäglichen Erfahrungen und die besonderen Momente.
Zum therapeutischen Reiten bin ich mit 12 gekommen, als meine Eltern mit mir aus der Innenstadt Halles in ein etwas weiter außerhalb liegendes Viertel gezogen sind. Reiten lernen wollte ich schon lange und da in der Nachbarschaft eine ältere Dame wohnte, die auch ein Pferd hatte und Unterricht gab, bot sich mir nun auch die Möglichkeit. Sie hatte als Physiotherapeutin gearbeitet und sich dann auf Hippotherapie spezialisiert, die sie auch im Ruhestand weiterführte. Dabei handelt es sich sozusagen um Krankengymnastik auf dem Pferd, wobei auch psychologische und pädagogische Effekte eine Rolle spielen.
Vorsitzende des Reitvereins war eine jüngere Bekannte von ihr, die auch die Betreuung der bereits 84-jährigen (bis zu deren Tod 2009) übernahm. Weiterhin gehörten 5 jungen Frauen zum Verein, die mindestens ein Mal in der Woche zum Reiten und für Stallarbeiten kamen. Es gehörte ganz selbstverständlich dazu, samstags ab und an bei der Arbeit mit den Patienten zu helfen.
Vielseitige Herausforderungen
Am Anfang ging es vor allem darum das Pferd zu putzen und vorzubereiten. Anstatt eines Sattels nutzt man bei der Therapie eine dicke Satteldecke, ein sogenanntes Pad, und einen Gurt mit Griffen, ähnlich wie beim Voltigieren. Das hat zum einen den Vorteil, dass die Bewegungen des Pferdes besser zu spüren sind, zum anderen sitzt man auch entspannter, wenn man die Beine einfach hängen lassen kann. Je nach Erkrankung ist es für einige Patienten auch nicht möglich, sich im Sattel zu halten. Nachdem ich etwas Erfahrung gesammelt hatte, durfte ich als Absicherung neben dem Pferd laufen, später dann die Langzügel übernehmen und „lenken“ und schließlich auch eine ganze Einheit selbständig betreuen.
Da unsere Patienten sehr unterschiedliche Erkrankungen und Probleme hatten, von Multipler Sklerose über Bandscheibenvorfälle bis hin zu Spastischer Lähmung oder auch geistiger Behinderung, gab es kein vorgegebenes Programm, welches einfach abgespielt wurde. Hinzu kommt, dass sowohl Pferd als auch Reiter mal einen guten, mal einen schlechten Tag haben und man sich jedes Mal neu drauf einstellen muss. Und gerade darin lag auch der Spaß. Grundvoraussetzungen liegen also nicht unbedingt in viel Erfahrung mit Pferden, den Umgang kann man nebenbei lernen, und absolut nicht im reiterlichen Können. Vielmehr geht es um Einfühlungsvermögen, Ruhe und Geduld.
Schulung von Gleichgewichtssinn und Selbstvertrauen
Grundsätzlich ist das Ziel der Reittherapie Muskulatur und Gleichgewichtssinn zu stärken. Schon allein das Ausbalancieren der Schrittbewegung des Pferdes, wobei der Rücken nach oben und unten und gleichzeitig auch nach links und rechts schwingt, kann gerade am Anfang auch für den gesunden Menschen eine Herausforderung sein und ist durchaus anstrengend. In Biegungen erhöht sich der Schwierigkeitsgrad noch etwas, sodass man auch mit Kreisen unterschiedlicher Größe arbeiten kann. Verschiedene Übungen wie die Beine an den Bauch des Pferdes anlegen, sich nach vorne zu den Ohren Strecken oder auf der Kruppe, dem Hinterteil, abzustützen, die Augen zu schließen und die Griffe loszulassen schult Koordination und Selbstvertrauen. Da „Dr. Sweety“ einen sehr angenehmen Trab hatte, der einen auch als ungeübter Reiter nicht in Not brachte, konnten wir auch kurze Strecken in dieser Gangart zurücklegen. Hierbei schwingt der Rücken noch mehr als im Schritt. Insgesamt sind die Übungen denen ähnlich die man mit Reitanfängern macht.
Aber auch den psychologischen Effekt sollte man nicht unterschätzen. Für 2 der Patienten ging es vor allem auch um Erfolgserlebnisse; dass das Pferd auf ihre mündlichen Anweisungen reagierte (wobei bei Bedarf auch ein wenig von unserer Seite nachgeholfen wurde) oder auch auf die eine oder andere reiterliche Hilfe. Anreiten und Antraben konnten Sie dann wirklich alleine. Aber auch die Welt von oben zu sehen und mal zu den anderen herabzublicken statt vom Rollstuhl aus immer hoch sind durchaus positive Aspekte. Alles in allem entspannt das Reiten aber auch, sowohl innerlich als auch muskulär. Schon allein der Kontakt zum Tier bewirkt hier vieles.
Emotionale Momente
Das tolle war vor allem die Veränderung, die 25 Minuten auf dem Pferderücken bei den Patienten bewirken konnte. Eine junge Frau, die an spastischer Lähmung erkrankt war, konnte zumindest kurzfristig die Hände auch öffnen und entspannen, die Patienten mit Multipler Skelerose wurden lockerer und vergaßen Alltag und Sorgen für eine Weile und der kleine Dustin lächelte einfach nur. Als er mit der Therapie begann saß der 5-jährige im Rollstuhl und man musste jemanden mit aufs Pferd setzen, da er sich alleine auch mit Absicherung links und rechts nicht auf Sweetys Rücken halten konnte. Nachdem ich auf Grund der Abiturvorbereitungen 4 Monate nicht zur Therapie gegangen war, und das erste Mal wieder kam, saß er ganz alleine auf dem Pferd und konnte sogar schon Traben. Das ist die schönste Erfahrung, die ich nicht nur dort, sondern überhaupt gemacht habe.